Wann verfällt der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmer:innen?

Urlaub - ein dauerhaftes Thema

In unserem neuesten YouTube Video behandelt Marc Florian Teßmer (Partner der Kanzlei Buiting & Teßmer Rechtsanwälte) die Frage, wann der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmer:innen verfällt. Das Thema Urlaub ist ein Dauerbrenner und auch bei uns in der Kanzlei bekommen wir diesbezüglich jede Woche auf’s neue Fragen. Aktuell ist die Rechtslage zum Thema Urlaub in Deutschland recht unsicher und unschlüssig. Das liegt vor allem daran, dass die deutsche Rechtsprechung durch die des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) beeinflusst wird.

Die bisherige Rechtslage zum Thema Urlaub

Beim Thema Urlaub gibt es maßgebliche Entscheidungen, die es zu berücksichtigen gilt. Vor allem ist diese Berücksichtigung wichtig, um auf Unternehmer:innenseite zukünftige Schäden bzw. hohe Forderungen zu vermeiden. Bezüglich des Urlaubsverfalls am Jahresende kann schon an dieser Stelle gesagt werden, dass der Urlaub bei Berücksichtigung der Rechtslage nicht einfach am Jahresende verfällt.

Das Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass das Urlaubsjahr das Kalenderjahr ist. In Kombination dazu hat das Bundesarbeitsgericht in den letzten Jahrzehnten eindeutig gesagt, dass der Urlaub, der bis zum 31.12. nicht genommen wurde, nach dem 31.12. verfällt. Ab und zu gab es jedoch auch Ausnahmen, die aus den Arbeits- und Tarifverträgen hervorgingen. Gesetzlich gab es nur eine einzige Ausnahme. Dieser Ausnahmefall trat in dem Moment ein, wo der/die Arbeitnehmer:in den Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht nehmen konnte. Wenn dies der Fall war, konnte der Urlaubsanspruch aus dem betroffenen Jahr bis zum 31.3. des Folgejahres mitgenommen werden.

Welchen Einfluss hat die europäische Rechtsprechung auf das deutsche Recht?

Vor ca. drei Jahren hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass dieser Automatismus (nicht genommener Urlaub verfällt zum Jahresende) nicht richtlinienkonform ist. Wenn ein/e Arbeitnehmer:in beispielsweise unverschuldet arbeitsunfähig bzw. erkrankt ist, darf der Urlaubsanspruch in dem Fall nicht zum Jahresende verfallen. Wie der Urlaubsanspruch anstelle dessen dann fortläuft, wurde intensiv diskutiert. Schnell kam man jedoch zu der Entscheidung, dass in diesem Fall der Urlaub erst 15 Monate später verfällt, also erst zum 31.3. des übernächsten Jahres.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sich aus der europäischen Rechtsprechung auf das deutsche Recht auswirkt, ist der, dass bis jetzt gesagt wurde, dass die Verpflichtung, Urlaub zu nehmen,bei der/dem Arbeitnehmer:in liegt. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass der Urlaub etwas mit Fürsorge und Erholung zu tun hat. Daher hat er festgelegt, dass die Verpflichtung, Urlaub zu nehmen, von der/dem Arbeitnehmer:in auf den/die Arbeitgeber:in übertragen wird. Dies habe etwas mit der Fürsorgepflicht des/der Arbeitgebers/Arbeitgeberin zu tun. Konkret bedeutet das, dass der/die Arbeitgeber:in den/die Arbeitnehmer:in jedes Jahr „hinreichend konkret“ über seinen/ihren Urlaubsanspruch aufklären muss.

Lange wurde diskutiert, was der Ausdruck „hinreichend konkret“ bedeuten soll. Diese Diskussion ist auch heute noch nicht beendet. Jedoch wurde klar, dass der/die Arbeitgeber:in den/die Arbeitnehmer:in über folgende Aspekte aufklären muss. Wie setzt sich der Urlaub zusammen (Gesetzlicher Mindesturlaub; obligatorischer Urlaub; Sonderurlaub; gesetzlicher Urlaub)? Welchen Gesamtanspruch gibt es? Ebenfalls muss der/die Arbeitgeber:in darauf aufmerksam machen, dass der bis zum 31.12. nicht genommene Urlaub danach verfällt.

Jetzt gibt es neue Fragen

Jetzt, wo der Europäische Gerichtshof diese Fragen geklärt hat, kommen neue Fragen auf. Was ist beispielsweise mit den langzeiterkrankten Arbeitnehmer:innen? Muss der/die Arbeitgeber:in auch diese Arbeitnehmer:innen jedes Jahr auf ihren Urlaubsanspruch hinweisen? Unsere persönliche Meinung zu dieser Frage ist: Nein, muss er/sie nicht. Diese Belehrung würde ins Leere gehen, da sie zu viele Konjunktive beinhalten müsse. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar, ob der/die Arbeitnehmer:in in diesem Jahr zurückkommt.

Das Landesgericht Hamm ist da ähnlicher Meinung: „Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer kann auch bei einer förmlichen Aufforderung den Jahresurlaub nehmen, diesen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit gerade nicht antreten. Eine Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers ergibt somit nur dann Sinn, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Lage ist, auf diese zu reagieren und den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dies ist im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht der Fall.“

Allerdings sehen der Europäische Gerichtshof und auch das Bundesarbeitsgericht die Verpflichtung des/der Arbeitgebers/Arbeitgeberin als umfassend und rückwirkend an. Das bedeutet, wenn der/die Arbeitgeber:in seiner/ihrer Verpflichtung in den letzten Jahren nicht nachgekommen ist und der/die Arbeitnehmer:in dadurch nicht den vollen Urlaub genommen hat, kann es sein, dass sich der/die Arbeitnehmer:in irgendwann vom Unternehmen trennt und Forderungen zu lang zurückliegenden Zeiten stellt. Der Verfall des Urlaubs zum Jahresende kommt nämlich nur dann zustande, wenn der/die Arbeitgeber:in den/die Arbeitnehmer:in „hinreichend konkret“ belehrt hat.

Um an dieser Stelle die möglichen Forderungen auf ein für das Unternehmen erträgliche Maß zu reduzieren, ist es jedem/jeder Arbeitgeber:in dringend anzuraten, zusammen mit der Lohnbuchhaltung jedes Jahr auf Neue alle Arbeitnehmer:innen in nachvollziehbarer Art und Weise über ihren Urlaubsanspruch aufzuklären.

Unsere Meinung

Wie Sie merken, ist das Thema Urlaub ein sehr komplexes. Allerdings kommt es gerade ins Rutschen, weil das Bundesurlaubsgesetz in der jetzigen Form nicht mehr die Rechtssicherheit bietet, die es noch vor Jahren gegeben hat. Daher hoffen wir, dass der Gesetzgeber diese Gesetze in Zukunft neu anpackt und regelt, damit diese Regeln nachvollziehbar im Gesetz geregelt sind.